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Bundesarbeitsgericht - Schmerzensgeldanspruch wegen „Mobbing” erstmals vom BAG bejaht – keine Entlassung des Vorgesetzten

Bundesarbeitsgericht - Schmerzensgeldanspruch wegen „Mobbing” erstmals vom BAG bejaht – keine Entlassung des Vorgesetzten

Ein Oberarzt, der durch den Chefarzt einer Klinikabteilung in seiner fachlichen Qualifikation herabgewürdigt wird und deshalb psychisch erkrankt, hat wegen Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht zur Fürsorge gegen seine Arbeitgeberin Anspruch auf Schmerzensgeld. Diese haftet dafür, dass der Chefarzt sein Gesundheitsrecht verletzt hat. Allerdings kann der „gemobbte“ Arbeitnehmer im Regelfall nicht die Entlassung des Vorgesetzten verlangen.

Der Kläger war Juli 1987 in der Klinik der Beklagten zunächst als Neurochirurg, seit Juli 1990 als Erster Oberarzt der Neurochirurgischen Abteilung und ab Anfang 2001 als deren kommissarischer Leiter beschäftigt. Seine Bewerbung um die Chefarztstelle blieb erfolglos. Ab Oktober 2001 bestellte die Beklagte einen externen Bewerber zum Chefarzt, von dem sich der Kläger seit Mai 2002 „gemobbt” fühlt. Ein von der Beklagten in die Wege geleitetes „Konfliktlösungsverfahren” blieb erfolglos. Von November 2003 bis Juli 2004 war der Kläger wegen einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig. Seit Oktober 2004 ist er erneut krank.

Rechtsanwalt Roger Hohmann, Eppstein

Thüringer Landesarbeitsgericht 28.6.2005 - auch bei der Austragung von Arbeitsplatzkonflikten gilt der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Mobbingschutz)

Die Grenzlinie der Art. 1 und 2 GG wird überschritten, wenn eine mit der Achtung der Menschenwürde nicht mehr in Übereinstimmung befindliche systematische Persönlichkeitsbekämpfung vorliegt, die dazu geeignet ist, die Zielperson psychisch zu zermürben und/oder in ihrer sozialen Stellung zu entwürdigen oder sogar zur Herbeiführung eines solchen Erfolgs bestimmt ist.

Dem Urteil liegt der Fall der Abmahnung und Kündigung einer 55-jährigen Frau zugrunde, die langjährig in einer unter kirchlicher Trägerschaft stehenden Behinderteneinrichtung als Gruppenleiterin in der Behindertenbetreuung beschäftigt war. Nachdem die Frau unliebsam geworden war, wurde ihr zunächst von ihrem Vorgesetzten und später auch von dem Geschäftsführer insgesamt etwa ein Jahr lang mit verletzenden Methoden zugesetzt (u. a. Bezeichnung als schlechteste Mitarbeiterin, Abmeldepflicht zum Aufsuchen der Toilette). Unter Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils wurde rechtskräftig die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung festgestellt und die Behinderteneinrichtung zur Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte verurteilt. In der Hauptbegründung wurde dieses rechtliche Ergebnis auf allgemeine arbeitsvertrags- und kündigungsschutzrechtliche Erwägungen, in der Hilfsbegründung auch auf den Mobbingtatbestand gestützt.

Danach hängt der Mobbingvorwurf grundsätzlich davon ab, dass die vorsätzlichen Pflichtverletzungen in der Gesamtschau eine Kette in Fortsetzungszusammenhang stehender einzelner Tatbeiträge bilden. In einem mehrstufigen Prüfungsverfahren werden Fälle substanzlos gebliebener Mobbingvorwürfe, einmalige Fälle des rechtlichen oder kommunikativen Lebensrisikos oder wechselseitig begangene Angriffe auf die Persönlichkeit ausgesondert. Immer muss es sich um einen schwerwiegenden Angriff auf das Persönlichkeitsrecht handeln und immer hängt das Vorliegen von Mobbing von den Umständen des Einzelfalls ab. Unter diesen Voraussetzungen besteht eine von der für die Handlungen verantwortlichen Person zu widerlegende Vermutung für die Ursächlichkeit der Schadensverursachung.

Zu einer vollständigen Mobbing-Typologie gehören auch die meist subtilen Erscheinungsformen systematischer Untergrabung der Autorität von Vorgesetzten durch Mitarbeitern vor allem im öffentlichen Dienst (sog. "Staffing").

Für die Verwaltungspraxis bedeutet dies, Erscheinungsformen des Mobbing möglichst bereits im Vorfeld durch inner- und außerbetriebliche Maßnahmen der Fortbildung der Führungskräfte und der Personalräte und den Abschluss einer Dienstvereinbarung (s. insbesondere das Mitbestimmungsrecht nach § 75 Abs. 3 Nr. 11 BPersVG) vorbeugend zu bekämpfen sowie im Bedarfsfall fachgerechte Methoden der Schlichtung und Mediation einzusetzen.

Thüringer Landesarbeitsgericht, Urteil vom 28.Juni 2005 - 5 Sa 63/04 – ArbuR 2006, 31

 

Arbeitshilfen:

Peter Wickler (Hrsg.)

Handbuch Mobbing-Rechtsschutz

Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/Faber

Bundespersonalvertretungsgesetz

v. Roetteken/Rothländer (Hrsg.)

Hessisches Bedienstetenrecht

HBR/Teil I: Personalvertretungsrecht

 

Rechtsanwalt Roger Hohmann, Eppstein

Landesarbeitsgericht München 14.4.2005 - wer Kinderpornos auf den Dienstcomputer herunterlädt, riskiert fristlose Kündigung

Bei der Beurteilung des wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung und der ultima ratio sowie der Vornahme der Interessenabwägung i. S. des § 626 BGB kann in solchen Fällen ein strenger Maßstab angelegt werden.

Im vorliegenden Fall hatte sich ein tariflich unkündbarer (Betriebszugehörigkeit von 27 Jahren) verheirateter 58 Jahre alter Arbeitnehmer trotz ausdrücklichen Verbots der Internetnutzung unter Vorwänden über seine Kollegen Zugang zum Internet verschafft und unter Verwendung seiner dienstlichen E-Mail-Adresse durch das Herunterladen und Speichern insbesondere von kinderpornographischen Dateien strafrechtlich relevante Handlungen (§ 184b StGB) begangen, die rechtskräftig mit einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen geahndet worden sind. Dabei hatte er einen erheblichen Teil seiner Arbeitszeit für die inkriminierte Internetnutzung in Anspruch genommen. Durch den Arbeitgeber sind 499 Dateien, darunter acht Videodateien, enthaltend pornographische/kinderpornographische Inhalte, mit einem Volumen von insgesamt 253 MB sichergestellt worden. Durch die Verwendung der dienstlichen E-Mail-Adresse war eine Identifizierung seiner Tätigkeit bei seinem Arbeitgeber unschwer möglich, was die Gefahr der Rufschädigung des Arbeitgebers begründete.

Angesichts der Schwere der Verstöße des Arbeitnehmers gegen die berechtigten Interessen seines Arbeitgebers schied nach Ansicht des LAG die Notwendigkeit einer vorherigen vergeblichen Abmahnung aus. Anders als in anderen, in der bisherigen instanzgerichtlichen Rechtsprechung entschiedenen Fällen sei es hier nicht lediglich um eine Privatnutzung des Dienstcomputers oder etwa ein gelegentliches, ggf. partiell erlaubtes/stillschweigend toleriertes, Surfen im Internet während der Dienstzeit gegangen, ggf. mit dilatorischem Aufruf auch entsprechend inkriminierter Seiten.

Auch sei subjektives Verschulden, die Vorwerfbarkeit des Verhaltens, nicht zwingende Voraussetzung einer verhaltensbedingten außerordentlichen Kündigung, wenn – wie vorliegend- bei schwerwiegenden Vertragsverstößen für die Zukunft weitere derartige Pflichtverletzungen in einem nicht hinnehmbaren Ausmaß zu erwarten seien.

Schließlich führten auch die lange Betriebszugehörigkeit, das hohe Alter des Arbeitnehmers, seine Therapiebedürftigkeit und die voraussichtliche Unmöglichkeit, in überschaubarer und rentenrelevanter Zeit noch eine andere Beschäftigung zu finden, zu keinem anderen Abwägungsergebnis.

LAG München, Urteil vom 14. April 2005 - 4 Sa 1203/04 – LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 5b

 

Arbeitshilfe:

Arbeitsrecht von A bis Z

Lexikon Arbeitsrecht 2007

Rechtsanwalt Roger Hohmann, Eppstein

Bundesarbeitsgericht 18.5.2006 - außerordentliche Änderungskündigung wegen Wegfall des Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst

Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, Stellen, für die er keinen Bedarf hat, allein deshalb einzurichten oder aufrechtzuerhalten, um einen ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer zu unveränderten Bedingungen weiterbeschäftigen zu können. Ebenso wenig muss er eine anderweitig besetzte Stelle freikündigen. Dies hat der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts am 18. Mai 2006 entschieden.

Nach § 55 Abs. 2 Unterabs. 1 des im vorliegenden Fall noch anwendbaren Bundesangestellten-Tarifvertrages (BAT) kann unkündbaren Arbeitnehmern (nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren) durch außerordentliche Änderungskündigung eine niedriger eingestufte Tätigkeit übertragen und die Vergütung auf die nächstniedrige Vergütungsgruppe abgesenkt werden. Von dieser Möglichkeit kann der Arbeitgeber dann Gebrauch machen, wenn die bisherige Beschäftigung entfallen ist, eine gleichwertige andere Beschäftigungsmöglichkeit, für die der Arbeitnehmer geeignet ist, nicht vorhanden ist und auch nicht durch organisatorische Maßnahmen (z. B. Versetzungen) geschaffen werden kann. Entgegen der Auffassung des Klägers war die beklagte Stadt nicht verpflichtet, eine im Haushaltsplan nicht vorgesehene, nach VergGr. IVb BAT bewertete Stelle allein deshalb zu schaffen, um den Kläger zu den bisherigen Bedingungen weiterbeschäftigen zu können.

In dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall hatte die beklagte Stadt eine von ihr ursprünglich unterhaltene Musikschule geschlossen. Der Arbeitsplatz des 1952 geborenen und seit 1980 als Trompetenlehrer und später auch als stellvertretender Leiter (VergGr. IVb BAT) beschäftigten Klägers war dadurch entfallen. Eine anderweitige Verwendung für einen Trompeter hatte die Stadt (ca. 15.000 Einwohner) nicht. Sie setzte den Kläger unter Herabgruppierung in die VergGr. Vb BAT (Vergütungsdifferenz ca. 150,00 Euro monatlich) auf einer Stelle im Fremdenverkehrsamt ein.

Entgegen der Auffassung des Klägers war die Beklagte nicht verpflichtet, eine im Haushaltsplan nicht vorgesehene, nach VergGr. IVb BAT bewertete Stelle allein deshalb zu schaffen, um den Kläger zu den bisherigen Bedingungen weiterbeschäftigen zu können. Ebenso wenig musste die Beklagte die anderweitig besetzte Stelle des Stadtjugendpflegers freikündigen, zumal der Kläger diese Tätigkeit erst nach langwieriger Fortbildung hätte ausüben können.

 

Fazit

Entscheidend für die Zulässigkeit der außerordentlichen Änderungskündigung ist das Fehlen einer gleichwertigen anderen Beschäftigungsmöglichkeit, für die der Arbeitnehmer geeignet ist. Zum Nachweis empfiehlt sich deshalb in der Verwaltungspraxis die entsprechende Dokumentation der durchgeführten Prüfungen.

 

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Mai 2006 – 2 AZR 207/05 – NZA-RR 2007, 272

 

Arbeitshilfen:

Lexikon Arbeitsrecht 2006

Rechtsanwalt Roger Hohmann, Eppstein

Bundesarbeitsgerichts 2.3.2006 - Skiurlaub während Arbeitsunfähigkeit - krankgeschriebene Arbeitnehmer riskieren fristlose Kündigung

Wenn ein erkrankter Arbeitnehmer in dem Zeitraum der Krankschreibung im Hochgebirge Ski läuft, kann dies eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, wenn der Arbeitnehmer dadurch seine Pflicht zu einem gesundheitsfördernden Verhalten verletzt. Dies hat der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts am 2. März 2006 entschieden.

Der bei dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) als medizinischer Gutachter beschäftigte Arbeitnehmer war wegen einer Hirnhautentzündung mehrere Monate arbeitsunfähig erkrankt. Während seiner Arbeitsunfähigkeit fuhr er in den Skiurlaub in die Schweiz, ohne den MDK zu informieren. Der Arbeitnehmer zog sich beim Skifahren Beinbrüche zu, was zu einer erheblichen Verlängerung der Arbeitunfähigkeit führte. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos. In der Kündigungsschutzklage machte der Arbeitnehmer geltend, er habe sich während der Arbeitsunfähigkeit nicht pflichtwidrig verhalten, da seine behandelnden Ärzte ihm das Skifahren nicht verboten hätten.

 

Das Bundesarbeitsgericht hat in dem Urteil darauf abgestellt, dass die Erkrankung des Arztes nach dessen eigenen Angaben mit erheblichen Konzentrationsschwächen verbunden war. Daher habe er während seiner Erkrankung keine sportlichen Freizeitaktivitäten ausüben dürfen, die – wie das alpine Skilaufen – an Konzentration und Fitness hohe Anforderungen stellten. Mit seinem Verhalten habe der Arzt seine Pflicht zu einem gesundheitsfördernden Verhalten erheblich verletzt. Von besonderer Bedeutung war in diesem Fall, dass es zu den Aufgaben des gekündigten Arztes gehörte, das Fehlverhalten von versicherten Arbeitnehmern im Hinblick auf das bescheinigte Krankheitsbild zu prüfen. Der Imageschaden, den der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber durch sein Verhalten zugefügt hat, war mit ausschlaggebend, die Kündigungsschutzklage des Arztes abzuweisen.

 

Fazit

 

Während einer krankheitsbedingten Arbeitunfähigkeit sind nicht grundsätzlich alle Freizeitaktivitäten untersagt. Arbeitvertragswidrig verhält ein Arbeitnehmer sich nur, wenn er durch seine Betätigung den Genesungsprozess beeinträchtigt oder auch nur gefährdet. In der Verwaltungspraxis empfiehlt sich eine entsprechende Information der Beschäftigten durch die Dienststellenleitung.

 

BAG, Urteil vom 2. März 2006 – 2 AZR 53/05 - NZA-RR 2006, 636

 

Arbeitshilfen:

 

Lexikon Arbeitsrecht 2006

 

Rechtsanwalt Roger Hohmann, Eppstein

Landesarbeitsgericht Nürnberg 9.12.2004 - jederzeitiges Einsichtsrecht des Arbeitnehmers in Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge

Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hat entschieden, dass die in § 8 TVG sowie in § 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG statuierte Verpflichtung des Arbeitgebers, den Tarifvertrag bzw. die Betriebsvereinbarung auszulegen, bedeutet, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auf Anforderung das entsprechende Regelwerk zugänglich machen muss.

Die Parteien stritten um das Einsichtsrecht des klagenden Arbeitnehmers in eine zwischen dem Insolvenzverwalter, dem Betriebsrat und der IG-Metall abgeschlossene Vereinbarung. Während der Vergleichsverhandlungen im Rahmen des noch anhängigen Kündigungsschutzverfahrens wurde dem Kläger seitens des Beklagten mehrfach bestätigt, dass die vergleichsweise vorgeschlagene Regelung hinsichtlich etwaiger Altansprüche des Klägers aus vor Insolvenzantragstellung abgeschlossenen Haustarifverträgen und Betriebsvereinbarungen der zwischenzeitlich abgeschlossenen Vereinbarung entspreche. Der Kläger verlangte seitdem mehrmals vom Insolvenzverwalter, dass ihm entweder eine Kopie dieser Vereinbarung zur Verfügung gestellt oder ihm Einsicht gewährt werde, damit er die Richtigkeit der Angaben überprüfen könne. Dies wurde seitens des Insolvenzverwalters abgelehnt, da die Vereinbarung über die Regelung der ihn betreffenden Punkte hinaus noch weitere enthalte.

Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hat es dahingestellt lassen, ob es sich bei der Vereinbarung um eine Betriebsvereinbarung oder einen Tarifvertrag handelt. Im ersten Fall folge die Verpflichtung des Insolvenzverwalters dem Kläger die Vereinbarung zugänglich zu machen, aus § 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG und im zweiten Fall aus § 8 TVG. Die in beiden Vorschriften enthaltene Verpflichtung des Arbeitgebers zur Auslegung der Betriebsvereinbarung bzw. des Tarifvertrags bedeute, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auf Anforderung das entsprechende Regelwerk zugänglich machen muss. Diese Verpflichtung bezwecke, den beteiligten Arbeitnehmern die jederzeitige Kenntnisnahme der Bestimmungen zu ermöglichen.

Für die Verwaltungspraxis bedeutsam ist, dass das Einsichtsrecht des Arbeitnehmers jederzeit, also auch in "normalen Zeiten" außerhalb eines Insolvenzverfahrens, besteht. Für Dienstvereinbarungen wird das Einsichtsrecht der Beschäftigten aus § 73 Abs. 1 BPersVG und den entsprechenden Vorschriften der Personalvertretungsgesetze der Länder herzuleiten sein (z. B. für Hessen aus § 113 Abs. 3 HPVG).

Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 9. Dezember 2004 - 5 Sa 328/04 - NZA-RR 2005, 377-378

Rechtsanwalt Roger Hohmann, Eppstein

Bundesarbeitsgericht 10.3.2005 – Verfall des Rückzahlungsanspruchs bei überzahlter Vergütung

Der 6. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Klage eines Landes auf Rückzahlung der von Dezember 1990 bis August 2001 an die beklagte Schreibkraft ohne rechtlichen Grund gezahlten Vergütung in Höhe von 113.932,97 Euro abgewiesen, da die tarifliche Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit des Anspruchs (§ 70 Satz 1 BAT) abgelaufen gewesen sei.

Trotz einer seit Dezember 1990 auf die Hälfte verminderten Wochenarbeitszeit erhielt die Beklagte die für entsprechende vollbeschäftigte Angestellte festgelegte Vergütung weiter. Das für die Rückforderung zuständige Landesamt für Besoldung erkannte die irrtümliche Gehaltsüberzahlung erst am 6. Dezember 2001. Dieses verlangte erstmals mit Schreiben vom 27. Februar 2002 die Rückzahlung der überzahlten Vergütung.

 

Fälligkeitszeitpunkt der jeweiligen Gehaltszahlung

Dem klagenden Land war die verminderte Wochenarbeitszeit der Beklagten bekannt. Sein Anspruch auf Rückzahlung der überzahlten Vergütung ist deshalb im Anspruchszeitraum anteilig mit der jeweiligen Gehaltszahlung am 15. des Kalendermonats entstanden und fällig geworden. Mit der erstmaligen schriftlichen Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs am 27. Februar 2002 hat das klagende Land die tarifliche Ausschlussfrist für die vor September 2001 fällig gewordenen Rückzahlungsansprüche nicht gewahrt.

Voraussetzung für die Einwendung einer rechtsmissbräuchlichen Berufung auf die Ausschlussfrist

Selbst wenn zu Gunsten des klagenden Landes eine pflichtwidrig unterlassene Anzeige der Beklagten unterstellt würde, wäre nach Ansicht des Senats der Verfall des Rückzahlungsanspruchs nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht ausgeschlossen. Teile ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber Gehaltsüberzahlungen pflichtwidrig nicht mit und erhalte dieser davon anderweitig Kenntnis, beginne eine tarifliche Ausschlussfrist nicht neu zu laufen. Vielmehr falle nach ständiger Rechtsprechung die Einwendung einer rechtsmissbräuchlichen Berufung auf die Ausschlussfrist bereits dann weg, wenn der Arbeitgeber trotz Kenntnis des Überzahlungstatbestandes längere Zeit von einer schriftlichen Geltendmachung seines Rückzahlungsanspruches absehe. Bei der schriftlichen Geltendmachung am 27. Februar 2002 habe das klagende Land bereits mehrere Monate Kenntnis von der Gehaltsüberzahlung gehabt. Es habe damit seinen Rückzahlungsanspruch nicht innerhalb einer kurzen Frist geltend gemacht.

Leider hat der Senat in der Entscheidung die Grenzen der "kurzen Frist" nicht definiert. Den Personalabteilungen kann in Überzahlungsfällen deshalb nur empfohlen werden, im eiligen Zusammenwirken mit den jeweils zuständigen Vergütungs- und Besoldungsämtern den Rückzahlungsanspruch in einem unter einem Monat liegenden Zeitraum schriftlich geltend zu machen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. März 2005 – 6 AZR 217/04 – NZA 2005, 812

Arbeitshilfen:

TVöD Kommentare und Textausgaben

Rechtsanwalt Roger Hohmann, Eppstein

Bundesverwaltungsgericht 16.8.2004 – Mitbestimmungspflichtigkeit eines Besetzungsvorschlags für eine Leitungsfunktionsstelle

Der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat entschieden, dass ein Besetzungsvorschlag für eine Leitungsfunktionsstelle eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme darstellt, auch wenn die abschließende Maßnahme mitbestimmungsfrei ist.

Grundsatz

Grundsätzlich kann von einer Maßnahme im personalvertretungsrechtlichen Sinne nur gesprochen werden bei einer Handlung und Entscheidung, die den Rechtsstand eines oder der Bediensteten berührt. Lediglich der Vorbereitung einer Maßnahme dienende Handlungen einer Dienststelle sind, wenn sie nicht bereits eine beabsichtigte Maßnahme vorwegnehmen oder unmittelbar festlegen, noch keine Maßnahme.

 

Ausnahme

Eine Ausnahme von dem Grundsatz, wonach Vorbereitungshandlungen keine Maßnahmen sind, ist nach der Entscheidung dann anzuerkennen, wenn anderenfalls die Mitbestimmung bei der endgültigen Maßnahme eingeschränkt oder ausgehöhlt wird. Vorliegend sei die abschließende Entscheidung - die Wahl des Bürgeramtsleiters durch die Stadtverordnetenversammlung - wegen § 83 Abs. 1 Satz 1 MBG SH nicht mitbestimmungspflichtig. Die für den Gesetzgeber maßgeblichen Gründe dafür, die Mitbestimmung bei der Wahl durch die Gemeindevertretung auszuschließen, würden nicht für den Besetzungsvorschlag des Bürgermeisters gelten. In diesen Ausnahmefällen komme der Grundsatz, dass die Vorbereitungshandlung mitbestimmungsfrei ist, weil dem Mitbestimmungsrecht des Personalrats durch seine Beteiligung an der abschließenden Maßnahme in aller Regel Rechnung getragen wird (vgl. dazu Beschluss vom 14. Oktober 2002 - BVerwG6 P 7.01 - Buchholz 250 § 75 BPersVG Nr. 104 S. 36 f.), nicht zum Zuge.

BVerwG, Beschluss vom 16. August 2004 - 6 PB 7/04 - PersR 2004, 475

Literaturhinweis:

Roetteken/Rothländer, Hessisches Bedienstetenrecht – HBR/Teil I: Personalvertretungsrecht

Rechtsanwalt Roger Hohmann, Eppstein

Bundesarbeitsgericht 4.10.2005 - auch im öffentlichen Dienst müssen Zeugnisse von einem ranghöheren Vorgesetzten unterzeichnet werden.

War der Angestellte als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig, ist das Zeugnis zumindest auch von einem der ihm vorgesetzten Wissenschaftler zu unterzeichnen. Eine von diesem Grundsatz abweichende behördeninterne Regelung der Zeichnungsbefugnis rechtfertigt keine Ausnahme.

Mit seiner Unterschrift übernimmt der Unterzeichnende als Aussteller des Zeugnisses die Verantwortung für dessen inhaltliche Richtigkeit. Der Dritte, dem das Zeugnis bestimmungsgemäß als Bewerbungsunterlage vorgelegt wird, soll und muss sich darauf verlassen können, dass die Aussagen über Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers richtig sind. Der Arbeitgeber kann einen unternehmensangehörigen Vertreter als Erfüllungsgehilfen beauftragen, das Zeugnis in seinem Namen zu erstellen. In einem solchen Fall sind jedoch das Vertretungsverhältnis und die Funktion des Unterzeichners anzugeben.

§ 35 Abs. 1 TVöD und § 61 Abs. 1 BAT enthalten für das Endzeugnis insoweit keine abweichenden Regelungen. Auch im öffentlichen Dienst ist das Zeugnis von einer natürlichen Person zu unterzeichnen. Das sind im Regelfall der Dienststellenleiter oder sein Vertreter. Die aus dem Zeugnis ablesbare mangelnde eigene fachliche Beurteilungsmöglichkeit des Zeugniserstellers ist dann für den Zeugnisleser unerheblich, da sie durch die dem Beurteilenden übertragene Vertretungsbefugnis kompensiert wird.

Je nach der Größe der Dienststelle und ihrer Organisation kann die Ausstellung von Zeugnissen auch anderen Bediensteten übertragen werden. Die mit der Ausstellung des Zeugnisses beauftragte Person muss dann aber dem Zeugnisempfänger übergeordnet sein, damit ihrem Urteil das entsprechende Gewicht beigemessen werden kann Je nach den Umständen des Einzelfalles kann dem mit Personalangelegenheiten betrauten leitenden Bedienstete die alleinige Zeichnungsbefugnis übertragen werden. Bei den mit Personalangelegenheiten betrauten anderen Bediensteten ist das jedoch nicht zulässig.

Im vorliegenden Fall war die das Zeugnis unterzeichnende Referatsleiterin Verwaltung als Regierungsoberamtsrätin dem klagenden Diplombiologen nicht übergeordnet. Sie war aber weder “ranghöher” – ausgedrückt in der Besoldungs-/Vergütungs- oder Laufbahngruppe – noch war sie ihm gegenüber fachlich weisungsbefugt.

Fazit

Um die Gültigkeit der Zeugnisse sicherzustellen, sind sie vom Dienststellenleiter oder dessen Vertreter oder dem Personalchef oder wenigstens von einem fachlichen Vorgesetzten zu unterzeichnen oder jedenfalls mitzuunterzeichnen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 4. Oktober 2005 – 9 AZR 507/04 – BAGE 116, 95 = NZA 2006, 436

 

Arbeitshilfen:

Lexikon Arbeitsrecht 2006

Dassau-Wiesend-Rothbrust, TVöD-Kompaktkommentar

Rechtsanwalt Roger Hohmann, Eppstein